Amazing Thailand

Ein Reisebericht

SEHR SELTSAME ASIATISCHE TRÄUME

Die erste Nacht in Thailand. Von wegen erholsamer Schlaf im Urlaub. In nur einer Nacht habe ich diesen Mist hier zusammengeträumt:  Ich fahre mit meinem Wagen durch meine Heimatstadt und lande an einer Straßensperre auf der Hauptstraße. Unter den wachsamen Augen eines Polizisten darf ich den Weg nur ohne Beine auf einem Skateboard fortsetzen. In dieser erniedrigenden Fahrweise gelange ich schließlich in ein schreckliches Gewirr kleiner Gassen, welches in einem unheimlichen, ausweglosen Dickicht von Hochaus-Simsen und Kaminen in luftiger Höhe endet.

Gelähmt von Höhenangst (und ohne Beine) klopfe ich an ein schmales Fenster, welches von einem freundlichen Comiczeichner geöffnet wird, der mir hilft, mich durch den engen Fensterschacht in seine enge Wohnung zu schieben. Als ich endlich gerettet bin, zeichnet mir der freundliche Nerd eine Armada von instellaren Kampfschiffen, um mir weiter zu helfen.

Endlich auf der Straße – nun wieder mit Beinen – mache ich auf den Weg in ein Cafe, wo ich mit einem Ex-Punk verabredet bin, der mir wichtige Informationen weiterleiten will. Während ich auf meinen Gesprächspartner warte, kommen mehrere Kinder und setzen sich an meinen Tisch. Sie verdienen sich Geld als Babysitter, in dem sie winzig kleine Babies, die in einer Art flüssigkeitgefüllter transparenter Zip-Loc Plastik-Tüten aufbewahrt werden, durch die Gegend tragen und neben meinem Kaffee auf dem Tisch ablegen. Ich fürchte mich vor den kleinen Kreaturen. Zwischenzeitlich taucht der auf einer Kopfseite kahlrasierte und auf der anderen langhaarige Ex-Punk auf, und kann mir aber leider nicht weiterhelfen.

Ich beschließe, früh ins Bett zu gehen, werde aber mitten in der Nacht wach, als ich ein unbekanntes, impertinentes Piepen – vermutlich eines Weckers – vernehme. Ich taste im Halbdunkel umher. Als ich auf eine Bücherstütze einschlage, von der das Geräusch zu stammen scheint, greift diese mich an, schnappt sich wild klappernd meine Hand und lähmt mich mit schmerzvollen Stromstößen, immer weiter klappernd und piepend.

Als ich endlich schweißgebadet aufwache, zieht eine wild trompetende Elefantenherde an meiner Hütte vorbei, und die auf den Viechern reitenden Mahouts hören lautstark „Gangnam-Style“. Und dies, so stelle ich erstaunt fest, ist kein Teil des Traums mehr. Good Morning Thailand!

NICHT LUSTIG UND NICHT SEXY

Es geht mir gut. Verdammt gut sogar. Die Sonne scheint, das Meer rauscht, es weht eine leichte Brise, die Temperaturen sind tropisch und die Moskitos bleiben heute auf Distanz. Eine freundliche Bedienung serviert mir sanft lächelnd einen Eiskaffe und ein paar geröstete Cashewnüsse. Es geht mir verdammt gut.

Aber es gibt ja leider auch in den Ferien immer wieder Dinge, die sind nicht lustig. Oder nicht sexy. Überhaupt nicht. Auch wenn man sich abseits der Touristenzentren ans Ende der Welt begibt, um den Urlaub etwas ruhiger anzugehen.

Und damit meine ich nicht den verspäteten Anschlussflug. Oder die Fähre, die nicht fährt. Den Taxifahrer, der mir scheinheilig lächelnd das Doppelte abknöpfen will von dem, was ich gestern für dieselbe Strecke bezahlt habe. Ich meine auch nicht die Kakerlaken in meinem Bungalow, die man jeden Tag aufs Neue beherzt hinausbefördern muss, und ich meine auch nicht die Magenverstimmung, die Insektenstiche oder das ständige Schwitzen.

Aber wahrlich nicht sexy sind die vielen Touristen auf dieser abgeschiedenen Insel, die aussehen wie dicke hässliche Deutsche und sich auch so benehmen. Aber sie sind jetzt Russen. Oder die tätowierten laut grölenden, pöbelnden starken Männer, die aussehen wie ungehobelte Engländer. Auch sie sind jetzt Russen. Und da merke ich wieder: Arschlöcher sind alle gleich. Egal wo und egal, wo sie herkommen. Sie sind halt Arschlöcher.

Überhaupt nicht lustig ist der Mann mit dem BERETTA T-Shirt. „BERETTA: 500 Years of Passion“. Ich verstehe, man muss sehr leidenschaftlich sein, um Waffen herzustellen. Und noch viel leidenschaftlicher, um im Urlaub ein solches T-Shirt zu tragen. Zu seinem Glück gibt es hier ja so leidenschaftliche Touristenattraktionen wie EXTREME SHOOTING. Wild mit großkalibrigen, scharfen Waffen rumballern an der kambodschanischen Grenze. Eine Freizeitbeschäftigung mit Geschichtsbewusstsein. Respekt! Passion!

Gar nicht lustig ist auch Zimmermann Peter, der Tag und Nacht durch die Gegend zieht, und jedem, der es nicht hören will, verkündet, was er von den thailändischen Frauen hält und wofür sie seiner Meinung nach da sind. In der letzten Nacht hat Zimmermann Peter seiner thailändischen Freundin Lucy offenbar ordentlich eine gezimmert, denn sie kühlt den ganzen Tag ihr blaues Auge. Soviel zu Zimmermann Peters Berufsehre.

Überhaupt nicht sexy im Urlaub sind auch iPads. Besonders nicht, wenn Oma Kalinka am Strand den ganzen Tag mit ihren dickern Fingern über das Gerät wischt und lautstark ihre unscharfen Urlaubsfotos kommentiert. Selbst als sie besoffen ihr Bier über das Gerät schüttet, geht es leider nicht kaputt. Oder wenn der neureiche chinesische Tourist im Strandrestaurant auf einer Insel am Ende der Welt dem Kellner das iPad hinhält, um zu zeigen, was er gerne essen möchte, und sich beschwert, dass er DIESES Gericht nicht auf der Speisekarte findet. Dabei hat das Restaurant noch nicht mal eine Speisekarte. Oder wenn die 3-jährige Tochter des Hotelmanagers ihre vor kurzem erst erworbene Sprachfähigkeit verloren hat, weil sie tagein, tagaus auf ihrem iPad rumwischt, um irgendwelche Vögel wegzuballern. Ratlos sehe ich das apathische, hypnotisierte Kind an, während ich meine Rechnung bezahle. Ich würde sehr gerne den Clown geben, oder ein paar Zaubertricks aufführen, um sie zum Lachen zu bewegen. Aber es nützt nichts. Denn ich bin nicht in ihrem iPad.

Also reise ich weiter und stelle glücklich fest: Es geht mir verdammt gut! 

WANT TO TEACH A CROCODILE SWIMMING?

Als gebildeter Tourist weiß ich ja bescheid über Elefanten in Thailand: Einst unersetzliche Arbeitstiere, die mithalfen, die beeindruckenden Tempel und Klöster der Thais und der Khmer zu erbauen, wurden sie im 20. Jahrhundert fast vollständig durch moderne Maschinen ersetzt und leiden heute verbreitet unter Arbeitslosigkeit. Denn jeder Elefant gehört einem menschlichen Mahout, und wenn der kein Geld mit seinem Tier verdienen kann, dann kann er auch den Dickhäuter nicht ernähren. Also waren Mahouts und Elefanten plötzlich vom Aussterben bedroht und mussten sich neue Jobs suchen, und die fanden sie in der Tourismusbranche.

Zur Begeisterung thailändischer Kinder und zu meinem Entsetzen sind einige Elefanten nun bunt angemalte Tänzer, Maler und Artisten und verrichten die unmöglichsten Dinge. Mir kommen erhebliche Zweifel, ob das wirklich artgerecht ist, wie hier behauptet wird. Ich beschließe, meinen für eine Stunde gemieteten Elefanten und seinen Mahout etwas Konservativeres tun zu lassen, nämlich mich durch’s unwegsame Gelände des Dschungels zu tragen.

Meine Sorge, wie um Himmels Willen ich auf den Rücken des Elefanten gelangen soll – nimmt man eine Leiter, die an das Tier gelehnt wird? Wird das Vieh mich mit seinem Rüssel umschlingen und auf den Rücken heben? – diese Sorge wird dann doch schnell entkräftet.

In Thailand ein Boot zu entern (egal ob Taxiboot, Linienboot oder Speedboot) ist deutlich schlimmer,  wackliger und gefährlicher als einen Elefanten zu besteigen. Denn für den Elefantenritt gibt es eine stabile erhöhte Plattform, von der aus man den erstaunlich wenig wackligen Elefantensitz besteigen kann – es ist kaum anders, als in den Bangkoker Skytrain einzusteigen – während die Boote hier grundsätzlich keinen Einstieg haben, jeder Durchgang in der Höhe maximal 120 cm misst, das Boot beim Betreten niemals ordentlich vertäut wird sondern möglichst wacklig von ein paar Händen ungeschickt festgehalten wird – also rauf den Elefanten wie rein in den Skytrain. Zugegeben, der Ritt ist dann etwas gemächlicher und es schaukelt mehr, vor allem wenn der Elefant sich durch stark abschüssiges Gelände arbeitet. Hier würde jeder Geländewagen steckenbleiben, und ich wäre auch fast vom Elefant gefallen, wenn nicht die lose und klapprige Sicherungsstange wär, die sich bei extremen Gefälle dann unter meinem Körpergewicht zum Glück so sehr verkantet, dass sie mich doch noch halten kann. Es war ein schöner Ritt und ich habe mitgeholfen, 2 Arbeitsplätze zu sichern

Meine langjährige gute Freundin Nueng hat einen neuen Job, sie arbeitet in Bangkoks neuester Shopping-Mall, die wie ein gigantischer DutyFreeShop aufgemacht ist, Hunderte kleiner Läden mit allem erdenklichen SchnickSchnack in allen erdenklichen Variationen, auf ihrer riesigen Etage gibt es NUR Damenschuhe und Handtaschen. Nueng verkauft Krokodilledertaschen – bei uns verfemt, verboten, verbannt, in Asien ein gutes Geschäft. Als interessierter Tourist möchte ich mich kundig machen – wie wird aus dem Krokodil eine Handtasche? – und besuche gemeinsam mit Nueng die größte Krokodilfarm der Welt, die gleichzeitig ein Zoo ist.

Krokodil-Eier in Brutkästen, frisch geschlüpfte Babykrokodile, Krokokids und Krokoteens, junge erwachsene, ausgewachsene und ausgestopfte Krokos, Hunderte, Tausende, die größten hier bis zu 6einhalb Meter lang und ziemlich kräftig. Daneben kann man ziemlich gefährliche Crocs auch in einer Show bewundern, wo kleine Thais die Panzerechsen mit Hilfe von riesigen Fleischhappen dazu überreden, ihre berühmten Killerrollen vorzuführen, und dann stecken die schmächtigen Männer ihre Köpfe zwischen die unfassbar großen, starken, erbarmungslosen Kiefer der Urzeitmonster. Eine Statistik, wie viele Köpfe hier wohl schon gerollt sind, entdecke ich leider nicht.

Im Gegensatz zu den Elefanten können die Kroks allerdings nicht malen, keinen Handstand machen, nicht tanzen und sie ziehen mir auch nicht das Geld mit dem Rüssel aus der Tasche, wie eben geschehen in der Elefantenshow nebenan.

Nach der Krokoshow geht es dann weiter zum Krokoshopping: Taschen, Schuhe, Gürtel und Smartphonehüllen aus Krokoleder. Diese edlen Produkte kosten auch hier in Thailand eine Menge Geld, sie sind aber tatsächlich von außergewöhnlicher Struktur und sehr individuell. Langsam finde auch ich Gefallen an dem Material. Und nach Beendigung der Shoppingtour wartet auf die Besucher der Farm noch ein leckerer Kroko-Imbiss: Es gibt Alligatorburger, Krokowürste und Panzerechsen-Barbecue, irgendwo muss man ja hin mit dem Inneren der Handtaschen. Ich lasse es mir schmecken – obwohl ich bisher noch kein Fan von dem ziemlich fetten Kroko-Fleisch geworden bin – und denke: Alles in allem geht es den Tieren hier auch nicht schlechter als deutschen Schweinen oder Rindern in der Massenaufzucht, und hier haben die Viecher sogar ein bisschen Auslauf (oder Aus-Schwimm, wie soll man es nennen?) und außerdem die Möglichkeit, Showstar zu werden. Das ist hier unten natürlich ein genauso beschissener Job wie daheim in Deutschland. Wie die Tiere getötet und verarbeitet werden, erfahre ich allerdings nicht, das findet dann doch hinter den Kulissen statt. Aber tatsächlich tragen diese Zuchtbetriebe auch zum Erhalt der Arten bei, es werden wieder Tiere ausgewildert. Und am Ende freue ich mich doch über das Geschenk meiner Freundin Nueng, die eine schwarze Krokohülle für mein iPhone ausgesucht hat.

Um Mitternacht speise ich mit Nueng, einigen Freundinnen, Kolleginnen und einer stummen Nichte in einem einsamen Reissuppenrestaurant in einer schäbigen Gasse außerhalb der Touristenzone von Bangkok. Auf klapprigen Plastikhockern, an einem wackligen Blechtisch genießen wir frische, unglaublich schmackhafte Speisen aus mir völlig unbekannten Zutaten, mit nie gesehenen Gemüsen, dazu herrlich erfrischendes Bier mit Eiswürfeln. Wir unterhalten uns in lustigem Kauderwelsch aus Thai und Englisch mit ein paar deutschen Brocken. Nur die stumme Nichte sagt nichts, obwohl – wie ich dann erfahre – sie gar nicht stumm ist, sondern nur zu faul oder zu schüchtern, um mit mir zu sprechen. Als wir uns verabschieden, bedanke ich mich bei der stummen Nichte für das gute Gespräch und habe alle Lacher auf meiner Seite. Und als ich dann noch unserer Gruppe völlig überflüssigerweise den Weg zur nächsten Metrostation erklären will, lerne ich zum Abschluss des Tages eine sehr metaphorische thailändische Redensart kennen: „You want to teach a crocodile swimming?“

THAI SUPPEN-GARAGE

Am heutigen Abend bin ich nicht sonderlich unternehmungslustig und beschließe, das kleine Restaurant gegenüber meinem Hotel am einsamen Ende der Soi aufzusuchen. Die freundliche Mama winkt mich herein, das Restaurant ist eher eine Garage mit 4 Tischen und 2 riesigen Kühlschränken und einem großen TV-Gerät. Die Küche befindet sich irgendwo im hinteren Teil der Garage hinter einem gewaltigen Berg aus Krempel, und es gibt auch hier keine Speisekarte. Also lasse ich mir etwas empfehlen, und Mama bietet mir laotische Pilz-Suppe, not too spicy, an. Das klingt exotisch genug, als dass ich es ausschlagen könnte.

Derweil bringt mir ihre Tochter Ää ein kaltes Bier und die unausweichlichen Eiswürfel.

Ich frage, ob sie sich zu mir setzen möchte, damit ich meine thailändischen Sprachkenntnisse etwas auffrischen kann. Unter der Bedingung, ihr einen Bacardi Breezer zu spendieren, nimmt sie gerne an und wir unterhalten uns über Buddha und die Welt, soweit ich halt irgendwas verstehe. Interessant ist z.B. die Lektion über Körperbehaarung, denn auch noch das letzte Haar am menschlichen Körper hat in Thai einen lustigen, eigenen Namen. Unterbrochen wird die lehrreiche Konversation allerdings durch einen besoffenen Onkel, der häufig versucht, sich ins Gepräch einzuschalten, allerdings kann er nur noch lallen, und gelalltes Thai verstehe ich wirklich nicht. Ää macht ihm netterweise klar, dass er in Ruhe in seinem Eckchen weitertrinken soll. Dabei interessiert mich sehr, was ihn so fröhlich macht, deshalb bestelle auch ich einen Schnaps – den einzigen, den es hier gibt, er kommt aus einem putzeimergroßen Glas, hat eine gefährlich rote Farbe und es schwimmen undefinierbare Ingredienzien in dem Eimer rum. Aber mein kulturelles Interesse siegt über meine Skepsis, und ich haue ein Pintchen auf Ex weg. Es schmeckt wie Biodiesel mit eingelegten Kräutern, aber es bringt mich glücklicherweise nicht um. Schnell noch ein Eiswürfelbier hinterher. Mittlerweile steht die laotische Suppe auf unserem Tisch, in ihr schwimmt auch reichlich Unbekanntes, vor allem treiben Schwärme von kleinen Pilzen in Spermienform in der trüben Brühe. Doch das ganze schmeckt: Ausgezeichnet! Auf die exotische Geschmacksexplosion folgt dann auch gleich die Schärfeexplosion, löschen, löschen! 

Währenddessen randaliert der besoffene Onkel an seinem Tisch in der Ecke, und das nimmt Ää zum Anlass, mir zu erklären, warum so viele thailändische Frauen ihre thailändischen Männer nicht mehr mögen und stattdessen Farang-Partner bevorzugen: Die einheimischen Männer würden einfach zu viel saufen und seien zu faul, um zu arbeiten. Nun, wenn ich mir die europäischen, australischen und amerikanischen alleinreisenden Männer hier in der Gegend so anschaue, kann ich nicht wirklich glauben, dass wir Farangs da besser sind. Doch wie zur Bestätigung von Ääs Theorie, spielt sich wenige Minuten später folgende Szene ab:

Zwei Thais auf einem gefährlich schlingernden Motorrad nähern sich dem Restaurant, und ihre Fahrt endet abrupt in einem Berg von Müllsäcken direkt nebenan. Einer von beiden erleidet einen enormen Brechanfall und übergibt sich minutenlang lautstark in den Müllberg, während der andere sich orientierungslos aus dem Haufen befreit und gegen die verschlossene Tür der Nachbargarage anrennt. Das nimmt der besoffene Onkel zum Anlass, den beiden Volltrunkenen helfen zu wollen, was in einem unfassbaren Chaos in der Nachbargarage führt, es klingt so, als würde dabei das komplette Inventar zerstört. Zur Krönung betritt nun die Ehefrau des besoffenen Onkels die Bühne, zerrt ihn aus der Scherbengarage, bringt ihn zu meinem Nachbartisch und startet eine unglaubliche Schimpftirade, die halb Bangkok aufwecken muss. Unter anderem hält sie ihm vor, dass er nun seinen Job verloren habe, weil zum wiederholten Male  viel zu besoffen war, um zur Arbeit zu gehen. Dann kommt es zu Handgreiflichkeiten.

Ich fühle mich trotz meiner leichten Benebelung durch den Kräuterschnaps und das Eisbier nun doch nicht nur ein bisschen unbehaglich, und wäge meine Optionen ab, wie ich reagieren könnte:

Einmischen? Das halte ich für extrem gefährlich und denke mir, wenn sich jemand einmischen sollte, dann wäre das die Aufgabe der anwesenden Thais. 

Option 2: Rückzug. Einfach mein Geld auf den Tisch legen und wortlos gehen, schließlich ist das rettende Hotel direkt gegenüber innerhalb weniger Sekunden fußläufig erreichbar.

Als ich aber spüre, wie peinlich die Situation für Mama und Ää ist, und wie sie unter Schwierigkeiten versuchen, ihre Scham wegzulächeln, entscheide ich mich für das einzig Richtige, damit wir alle unser Gesicht wahren können: Ich setze meine beste Waffe ein und lächle auch. Kein Kommentar zum Geschehen, keine abschätzigen Blicke, ich lächle freundlich und nippe weiter an meinem Eiswürfelbier.

Als dann aber auch noch ein amerikanischer Vietnam-Veteran die Szene betritt und drohend seine Hakenhand erhebt, frage ich mich ernsthaft, ob ich mich jetzt kneifen muss, um sicher zu sein, dass ich nicht halluziniere. Plötzlich aber ist der Spuk vorbei, es kehrt Ruhe ein, mit einem gewagten Evil-Knievel-Stunt befördert der betrunkene Onkel seinen Motorroller in das Garagenrestaurant, und Ruhe ist. Als Dank für meine stoische Haltung geben Mama und Ää mir noch ein Bier und einen gefährlichen Schnaps aus, anschließend zahle ich meine Rechnung, gebe angesichts der guten Unterhaltung ein gutes Trinkgeld und begebe mich um eine interessante Erfahrung reicher zurück ins Hotel.

In meinem Hotelzimmer angekommen, sehe ich zum verwirrenden Abschluss im königlich-thailändischen Fernsehen einen absonderlichen Bericht: „Gute Gülle! Gute Gülle!“ rufen 2 deutsche Bauern! Ich denke erst, ich hätte mich verhört … detailliert wird über das Geschäft dieser deutschen Landwirte mit der Scheiße berichtet … und ständig wird die Kacke gezeigt, und wie die beiden Deutschen die Rohrleitungssysteme für den ganzen Mist auseinandernehmen und mit Zahnbürsten reinigen, Gute Gülle! Was für Impressionen aus der Heimat!

Schnell schalte ich zum nächsten Sender, wo zwischen den unendlich langen Werbeblöcken philosophische Zitate bekannter Politiker eingeblendet werden:

„The only real prison is fear and the only real freedom is freedom from fear“ sagte einst die burmesische Freiheitskämpferin Aung San Suu Kyi, und mit diesem Spruch ist für mich für diesen Tag der Weltfrieden wieder hergestellt.

Sunset in Thailand 2013

METAMORPHOSEN

Um nicht wie ein verwahrloster Rucksacktourist umherzulaufen, besuche ich in Thailand regelmäßig BEAUTY SALONS.  Kosmetische Dienstleistungen werden sehr günstig angeboten und – meistens jedenfalls – sehr versiert ausgeführt. Das kann aber auch mal schiefgehen.

Mir fällt das Werbeschild „METAMORPHOSIS – all Beauty can do“ ins Auge und ich beschließe, angesichts dieses viel versprechenden Mottos, mich hier mal ein wenig aufpolieren zu lassen.

Nachdem ich Maniküre und Pediküre, Rasur und Haarschnitt bestellt habe, bemerke ich schnell, dass ich einen Fehler gemacht habe: Ich habe nicht gesagt, dass ich die Behandlungen NACHEINANDER wünsche, daher erhalte ich sie alle GLEICHZEITIG!

Ich werde in einen Sessel verfrachtet, mit einem Getränk ruhig gestellt, in Liegeposition gebracht und soll die Augen schließen. Und dann beginnt der sensorische Hurrikan, als gleichzeitig an den Füßen gefummelt, an den Händen gezupft, am Hals geschabt und am Kopf geschnippelt wird. Ich versuche zu entspannen, was angesichts der überwältigenden taktilen Impressionen, die 4 Damen erzeugen, eine unmögliche Aufgabe darstellt. Ich verspüre den Drang, laut loszulachen, kann mich aber so gerade noch beherrschen und versuche erneut, das ganze Spektakel zu genießen.

Und kurze Zeit später geschieht, was kommen musste: Die Pedikürenlady erwischt eine kitzlige Stelle am kleinen Zeh! Mehrere Sekunden kann ich mich noch beherrschen, will noch rufen: Aufhören, das kitzelt zu sehr!!! und zucke plötzlich von der Kitzelei überfordert mit allen Gliedmaßen zurück und schnelle mit dem Kopf nach vorne. Das verursacht natürlich einige Unfälle: Die Manikürendame schneidet mir in den Daumen, die Rasierdame ritzt meinen Hals und die Friseurlady säbelt mir mit der Haarschneidemaschine ins Ohr! Aua! Die Damen erschrecken sich mit mir, lachen sich allerdings sofort kaputt, während sie gleichzeitig unter Gepruste ihr tiefstes Bedauern bekunden.

Nach einer Schrecksekunde stelle ich erleichtert fest, dass die Verletzungen nicht lebensgefährlich sind und lasse die Damen vorsichtig – und diesmal nacheinander – weitermachen.

Am Ende wird mir noch als – Dankeschön? Bitteschön? oder Entschuldigung? – eine Gesichtsbehandlung aufgeschwatzt. Ich nehme das Angebot höflich an, aber als daraufhin mehrere antike Elektrogeräte auf Ständern herangerollert werden, die wie armselige Roboter aus billigen 70er-Jahre Sciene-Fiction Filmen anmuten, da schwant mir, dass ich erneut einen Fehler gemacht haben könnte.

Von Beginn dieser Schönheitsbehandlung an werde ich von einer uralten Fönkonstruktion auf Rädern mit heißer feuchter Luft bedampft, die sich schlimmer anfühlt, als der vollhumide Smog in den Straßen von Bangkok. Dann erfolgt ein Peeling mit einer ätzenden körnigen Masse, die mir die Haut vom Gesicht zu fressen scheint, während die Sandkörnchen tief in den offenen Wunden schaben. Anschließend kommt der Staubsauger dran: Mit einem klapprigen, röhrenden Gerät werden mir die verbliebenen Reste meiner Gesichtshaut abgesaugt. „Küssen“ nennt es die behandelnde Dame, ich kann nur antworten, dass ich in meinem Leben schon zärtlichere Küsse erleben durfte. Der darauf folgende Apparat versetzt mich in Panik: Ein knatterndes, funkensprühendes Ungetüm ragt in mein Gesichtsfeld, ich fürchte schon, es sei ein Elektroschocker, und als das Ding versehentlich meine Lippen berührt stelle ich fest: Es ist ein Elektroschocker!

Nur um mein Gesicht nicht zu verlieren – welches ich physisch ja längst verloren glaube – lasse ich auch das über mich ergehen, um am Ende noch eine Gesichtsmaske verpasst zu bekommen, die aus einer klebrigen Masse, die mich von Konsistenz und Geruch an Fensterkitt erinnert.

Als es endlich vorbei ist und ich die Folterkammer verlassen darf, stehe ich deutlich verändert da. Mit hochrotem Gesicht und Pflastern an Ohr, Hals und Daumen denke ich mir: So wirkungsvoll hatte ich mir die Metamorphose nicht vorgestellt!

DER KLAPPRIGE CHAUFFEUR UND DIE FLIEGENDE PRAKTIKANTIN

Der Tag der Rückreise ist gekommen. Lange und beschwerliche Flüge in überfüllten Maschinen stehen mir bevor. Um nicht gleich zu Beginn der Reise Stress mit einem klapprigen Taxi und einem geschwätzigen Taxifahrer zu bekommen, bestelle ich eine Limousine beim Fahrservice meines Hotels. Aber vielleicht habe ich mir das mit der entspannten Fahrt etwas zu einfach vorgestellt. Während ich am Hintereingang in der Sonne warte und binnen Sekunden schon wieder schweissnass bin, als ob ich gerade mitsamt Klamotten aus dem Pool gestiegen wäre, biegt ein ziemlich alter Volvo 740 um die Ecke, der sicherlich schon mal bessere Tage gesehen hat. Freundlicherweise verfrachtet ein Portier mein Gepäck in den Kofferraum und öffnet mir die Fondtür. Dabei purzelt zwar der Autolaustsprecher aus der Türverkleidung und landet auf dem Asphalt, aber der wird halt schnell wieder eingepackt, irgendwie in die Tür gefummelt und los geht’s. Nur nicht ganz so schnell. Während ich versuche, mich anzugurten, dreht sich mit einem zahnlosen Lächeln der etwa hundertjährige thailändische Chauffeur zu mir um und brüllt mich in bruchstückhaften Englisch an. Ich verstehe natürlich kein Wort, versuche aber rauszufinden, was er will und frage höflich nach. Er schreit weiter. Irgendwann kriege ich mit, dass er stocktaub ist, also halte ich den Mund und versuche nun, ihn anhand seiner Gesten zu verstehen. Endlich wird mir klar, dass er mir irgendwie erklären will, dass der Sicherheitsgurt wohl kaputt sei und ich halt ohne auskommen müsste. Nun, das habe ich dann zwischenzeitlich auch schon selbst festgestellt. Es kann also losgehen. Ohne Gurt. Es könnte losgehen. Statt dessen tritt Opa im Leerlauf aufs Gas und der Wagen bewegt sich nicht. Doch plötzlich haut er den Automatikhebel auf D, und das Fahrzeug setzt sich mit Höllenlärm, aber quälend langsam in Bewegung. Die Automatikkupplung scheint also ebenfalls nicht mehr ganz frisch zu sein.

Wir sind auf Schleichfahrt durch Bangkok, während Opa mir in sehr schlechtem Englisch zubrüllt, dass er leider kaum Englisch verstehe. Ich antworte nicht, sondern lächle nur freundlich, meine bekannte Allzweckwaffe. Als wir auf der Autobahn einmal bremsen müssen, breche ich trotz – erstaunlicherweise – funktionierender Klimaanlage in kalten Schweiß aus, als ich merke, dass statt einer Bremswirkung lediglich ein höllisches Geklapper und Geratter ertönt, und ich befürchte, dass alle 4 Räder gleichzeitig abbrechen und uns die Motorhaube um die Ohren fliegen wird. Da Opa offensichtlich nicht bremsen kann, weicht er also aus, indem er in alle Richtungen am Lenkrad kurbelt, bis der Wagen irgendwie auf die andere Spur gelangt. Dem Crash so gerade noch mal entgangen, beobachte ich nun, dass das Lenkrad tatsächlich soviel Spiel hat, dass ich befürchten muss, dass wir schon auf der nächsten Geraden aus der Kurve fliegen.

Zu meinem Erstaunen erreichen wir aber unfallfrei und pünktlich den Airport und Opa schenkt mir zum Abschied sein zahnloses Grinsen und brüllt mich nochmals freundlich an. Ich schreie zurück: Viel Glück, Alter! Und mache mich auf ins Terminal.

Hier geschieht nun etwas ganz Erstaunliches: Auf einem der größten Flughäfen der Welt, gelingt es mir zur Hauptverkehrszeit innerhalb von 5 Minuten einzuchecken, Gepäck abzuwerfen, die Sicherheitsschleuse zu passieren und bei der Passkontrolle mein Visum ausstempeln zu lassen. Also sitze ich 3 Stunden zu früh am Gate. Na denn.

Als ich aus dem Fenster aufs Rollfeld schaue, entdecke ich neben einem gigantischen Doppeldecker-Airbus die winzig kleine HAPPY AIR Maschine, mit der ich vor einer Woche von einem einsamen Airstrip aus Vietnamkriegszeiten aus dem Süden Thailands hierher gelangt bin. Die klapprige Saab340 sieht aus wie Wal-Baby unter Mutter Wal.

Als ich in Ranong dieses HAPPY AIR Flugzeug bestiegen hatte, wunderte ich mich über ein sehr junges, uniformiertes Crewmitglied: Die junge Dame kam rüber wie eine 15-jährige Praktikantin. Zu meinem Erstaunen verschwand sie aber im Cockpit. Als sich dann noch ein Fluglehrer mit ins viel zu enge Cockpit drängte, und zahlreiche Manager der fröhlichen Airline zustiegen, befürchtete ich das schlimmste: Die Praktikantin macht heute ihre Abschlussprüfung und fliegt uns nach Bangkok! Wie ein Menetekel schlug kurz vor dem Start das Wetter um, über die Berge kroch ein dunkles burmesisches Gewitter, in Sekunden steigerte sich die Windstärke auf Hurrikanniveau und dichte Regenwände peitschen gegen der Rumpf der Maschine. Optimale Startbedingungen also.

Ich erinnerte mich an den vorletzten Flug mit HAPPY AIR, als ein italienischer Flugkapitän mit dem nahezu prophetisch Namen SCHETTINO uns durch gefährliche Fall- und Scheerwinde nur mit Mühe auf den Grund bringen konnte, erst wäre die zu Boden gedrücke Maschine fast zerschellt, und nachdem er sie abgefangen hatte, musste er sie beinahe quer zur Landebahn aufsetzen, um nicht von der Scheerwinden in den Wald gefegt zu werden. Ich betete zu Buddha, dass es an diesem Tag nicht noch schlimmer kommen möge und schloss die Augen in der Erwartung, dass wir mit Sicherheit bereits beim Startversuch über die Landebahn hinausschießen würden.

Zu meiner Überraschung brachte die Praktikantin die Maschine souverän durch die Sturm- und Regenwolken in die Luft, und in eleganten Links-Rechts-Schwüngen wichen wir kilometerhohen weißen Wattebergen aus Cummuluswolken aus, wir schunkelten uns leichtfüßig in den Himmel. Auch die Landung in Bangkok ging sanft über die Bühne, im vorderen Teil er Maschine brandete Applaus auf, die Praktikantin schob den Fluglehrer aus dem Cockpit, verneigte sich vor den Managern. Diese überhäufen die zierliche Frau mit riesigen Geschenkkörben und Blumensträußen, so dass nun niemand mehr vor,  zurück, oder gar aus der Maschine steigen kann, weil die mit Geschenken überhäufte Praktikantin den Durchgang blockiert. Als sich das Chaos endlich lichtete, nickte ich ihr beim Verlassen der Maschine ehrfürchtig und anerkennend zu, nicht ohne mir meinen Kopf gewaltig an der viel zu niedrigen Ausgangstür zu stoßen und beinahe die Außentreppe hinunterzupurzeln.

Jetzt, wo ich in den Langstreckenflieger zurück nach Hause steigen soll, würde ich natürlich viel lieber wieder zu der fliegenden Praktikantin in ihr Klapperflugzeug steigen und quer durch Asien schippern, als mich jetzt in eine vollbesetzte Großraumsardinenbüchse zu quetschen. Während ich der Kälte in Deutschland entgegenfliege, schaue ich mir im Bordkino einen sentimentalen asiatischen Spielfilm an, um heimlich noch ein paar Tränchen zu verdrücken: Tränen des Abschieds, aber auch Tränen der Freude über die fantastischen Erlebnisse und die warmherzigen Menschen, die mir auf dieser Reise begegnet sind.

Februar 2013